Dropouts in digitalen Bildungssettings

Ganz ehrlich: Ich kann es nicht mehr hören, dieses Gejammer über „Abbruchquoten“ bei offenen digitalen Bildungsangeboten wie beispielsweise MOOCs oder vergleichbaren Angeboten. Und warum nerven mich die Klagen? Weil ich mich über Dropouts nicht wundere.

Schauen wir uns MOOCs und andere kostenfreie oder günstige Bildungsangebote doch mal aus Teilnehmendenperspektive an:

Wenn diese Kurse kostenfrei oder sehr günstig sind, dann ist es doch normal, dass Menschen einfach mal in so eine Veranstaltung hineinschnuppern. In der Erwachsenenbildung herrscht die Vorstellung, dass Menschen sich zu Veranstaltungen anmelden mit dem Ziel, diese auch zu beenden. Aber warum sollte das bei offenen, kostenfreien Angeboten denn so sein? Diese bieten – gerade im Vergleich mit herkömmlichen Bildungsangeboten – die Chance, sich unverbindlich anzumelden und zu schauen, was passiert. Und diese Chance wird genutzt. Von Abbruch kann also oft gar nicht die Rede sein.

Selbstverständlich ist es für die Veranstalter*innen und die Trainer*innen schade (und manchmal auch frustrierend) zu sehen, dass von den vielen Angemeldeten nur wenige bis zum Ende mitmachen. Und selbstverständlich sollte man sein Angebot (Aufbau, Ansprache der Teilnehmenden, Zeitplanung, Methoden …) überdenken, wenn nach und nach immer mehr Teilnehmenden im digitalen Nirwana verschwinden. Aber sehen sollten wir immer, dass das zu Ende bringen einer Bildungsveranstaltung nicht zwangsläufig das Ziel der Angemeldeten ist. Und deswegen sprechen die hohen Dropout-Quoten auch überhaupt nicht gegen solche Bildungsformate.

Viele Teilnehmenden scheitern am Zeitmanagement, das wissen wir aus Rückmeldungen von Nicht-Kurs-Beendenden  … so viel anderes zu tun, da schafft man halt den Kurs nicht auch noch. Lässt das auf einen schlechten Kurs schließen? Nein. Daraus können wir beispielsweise schließen:

  • Der Kurs war für die Angemeldeten nicht von so hoher Bedeutung, dass sie dafür andere Aktivitäten verringert oder vernachlässigt hätten.
  • Die inhaltlichen Anforderungen waren zu hoch: Vielleicht war die Angebotsbeschreibung nicht optimal (verständlich, Voraussetzungen klar benannt …), vielleicht hat man sich und seinen Kenntnisstand falsch eingeschätzt. 
  • Man ist überfordert mit der Selbstorganisation des Lernprozesses (das ist mehr als ein unzureichendes Zeitmanagement).

Mir scheint das ein zentraler Punkt zu sein: Selbstorganisiertes Lernen, wie es bei digitalen Bildungsformaten notwendig ist, ist ungeübt und ungewohnt. Wer hat denn wirklich gelernt eigenverantwortlich und selbständig den eigenen Lernprozess zu organisieren? Kaum jemand; darauf ist unser (im schlechtesten Sinne) verschultes Bildungssystem überhaupt nicht angelegt. Trainer*innen und Bildungsplaner*innen haben gelernt Lernprozesse für Teilnehmende zu organisieren; Teilnehmende haben gelernt sich innerhalb der Vorgaben zu bewegen. Aber selbstorganisiert Lernen? Dass können auch viele Erwachsenenbildner*innen nicht (das weiß ich aus zig Trainer*innenfortbildungen, die ich durchgeführt habe).

Wenn also selbstorganisiertes Lernen ungeübt und neu ist, wo ist dann die Überraschung, wenn die Leute es nicht hinbekommen? Natürlich werden digitale Bildungsformate nicht beendet, weil man mit der Art und Weise des Lernens nicht zurechtkommt. Aber was – um Himmels Willen – erwarten wir denn von Erwachsenen, die unser Bildungssystem  durchlaufen haben? Eine 180°-Drehung  von Top-Down zu Selbstlernkompetenz in zwei Wochen? Das scheinen mir doch überzogene Vorstellungen zu sein.

Selbstverständlich sollten wir daran arbeiten, Selbstlernkompetenzen zu entwickeln; aber Kompetenzen schult man nicht, sie entwickeln sich. Und um Teilnehmende bei der Entwicklung solcher Kompetenzen zu begleiten, sollten Erwachsenenbildner*innen natürlich selbst entsprechend kompetent sein.

Bei kostenpflichtigen, insbesondere teureren digitalen Bildungsangeboten sieht die Sache anders aus: Die Teilnehmenden investieren viel; sie schnuppern nicht unverbindlich in ein Angebot hinein. Allein wegen des Kostenfaktors wird viel mehr überlegt, ob man sich für eine bestimmte Fortbildung anmeldet. Und die wird man dann meist beenden, weil man sonst viel Geld in den Wind geschossen hat. Das kann dazu führen, dass auch schlecht gemachte Kurse beendet werden; man quält sich durch (was natürlich nicht Sinn der Sache ist). Sind die Dropoutquoten bei einem teureren Seminar hoch, dann ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass es kein besonders gelungenes Angebot ist.

Sicher gibt es auch bei offenen digitalen Bildungsangeboten Dropouts, weil die Kurse schlecht gemacht und mäßig betreut sind. Nur denke ich nicht, dass das auf die Mehrheit der Angebote zutrifft.

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