Übrigens: Digitale Bildung ist nicht E-Learning

Was war E-Learning?

E-Learning war in den 90er der Versuch traditionelle Bildungsformate / Bildungsangebote digital anzubieten. Die Lehr-Lernprozesse waren bei E-Learning-Angeboten die gleichen wie bei Angeboten in herkömmlichen Formaten. Es gab auch keine Veränderungen bei der Aufgaben- und Rollenverteilung: Die Lernenden lernen (mitarbeiten, Fragen beantworten, Tests absolvieren, Arbeitsergebnisse liefern …) und die Lehrenden lehren (vermitteln, beibringen, inhaltliche Strukturen erarbeiten, Material zur Verfügung stellen, Methoden ausarbeiten und anwenden, das Lerngeschehen insgesamt managen, Gruppen betreuen …). Es wurden Learn Management Systeme (LMS) geschaffen, die Klassenräume und Rollenverteilung abbildeten. Auch digitalisierte Selbstlernkurse, gerne Web Based Training genannt, waren in der Regel (Ausnahmen gab es) nichts weiter als eine elektronische Aufbereitung von gedruckten Inhalten, die man sich selbständig erarbeitet hat.
E-Learning wurde genauso gedacht wie das Office-Paket und andere Anwendungen: Schauen, was im „normalen“ Büroalltag passiert und das dann mittels Computern nachbauen.

Doch die frühen 90ern sind passé: Das Internet und mit ihm digitale Technik hat unseren Alltag durchdrungen und zu grundlegenden Veränderungen geführt. Man nennt es Digitalisierung und wir wissen, dass wir erst am Anfang eines großen Wandels stehen, der in seiner Gesamtheit als digitale Transformation bezeichnet wird. Die Wikipedia definiert es so: „Digitale Transformation bezeichnet einen fortlaufenden, in digitalen Technologien begründeten Veränderungsprozess, der als Digitale Revolution die gesamte Gesellschaft und in wirtschaftlicher Hinsicht speziell Unternehmen betrifft.“; https://de.wikipedia.org/wiki/Digitale_Transformation .

Digitale Transformation und digitale Bildung: Wie hängt das zusammen?

Digitale Bildung baut auf unserer digital veränderten Lebenswirklichkeit auf. Meiner Meinung nach sind die größten Änderungen, denen zeitgemäße Erwachsenenbildung Rechnung tragen sollte, sowohl im veränderten Kommunikationsverhalten als auch im veränderten  Umgang mit Zeit zu sehen.

Die sozialen Netzwerke und natürlich WhatsApp haben digitale Kommunikation leicht gemacht: Wir können beispielsweise nicken, wenn uns etwas gefällt. Facebook nennt das Liken und hat es geschafft, einen wichtigen Teil nonverbaler Kommunikation ins Digitale zu übertragen. Wir können mit unendlich vielen Menschen in Kontakt treten – auch mit Leuten, die bislang für uns kaum erreichbar waren. Ich meine nicht unbedingte Prominente, ich meine hier eher Fachleute, Führungskräfte … Wir können  an Netzwerken teilhaben und selbst welche bilden / initiieren – ohne großen Aufwand. Es gibt in sozialen Netzwerken keine Hierarchien! Wir können mitmachen und mitreden und das alles ganz schnell und unkompliziert. Wir können uns beliebt machen und uns in die Nesseln setzen – alle Möglichkeiten sind immer verfügbar.

Und das ist für mich die andere, stark spürbare Veränderung: Wir gehen anders mit unserer Zeit um. Weil vieles immer verfügbar ist, brauchen wir weniger Zeitplanung: Wir kommunizieren, wenn es uns passt, wir kaufen ein, wenn es uns passt, wir konsumieren Unterhaltung, wenn es uns passt, wir informieren uns, wenn es uns passt … Wir planen private Termine oft nicht mehr so konkret (wir können ja ganz spontan konkret werden, weil wir ein Smartphone besitzen).

Einher mit diesen zentralen Änderungen gehen weitere Aspekte, die unser digital geprägtes Leben kennzeichnen:

  • Wir können eigene Inhalte erstellen (user created content: Texte/E-Books, Fotos, Videos, Audio/Podcasts) und verfügbar machen, dabei können wir entscheiden, ob die ganze Welt oder ein ausgewählter Personenkreis unsere Inhalte sehen oder hören kann.
  • Wir können recht unkompliziert eigene Produkte (oder alten Kram) verkaufen (Ebay, DaWanda, Kleinanzeigenportale). Natürlich können wir auch schnell und ohne Zeitbegrenzung online einkaufen.
  • Wir können Inhalte in Clouds speichern, so dass diese jederzeit verfügbar sind.
  • Wir können häufig verständliche Informationen auch zu schwierigen Themen finden; Google lässt uns finden und Content-Provider bereiten Inhalte mittlerweile textlich und vor allem visuell (Infografiken, Videos) ansprechend auf. 
  • Digitale Bildung trägt all diesen Aspekten Rechnung und erkennt, dass informelles, zeitunabhängiges, netzwerkbasiertes, interaktives Lernen andere Lehr-Lern-Prozesse und Bildungssettings brauchen.

Was kennzeichnet digitale Bildung?

Digitale Bildung nutzt den digitalen Raum und zwar so, wie der digitale Raum (wir können auch sagen: das Internet) heute genutzt und erlebt wird.

Und das bedeutet:

  • Lehrende sind keine Alleswisser*innen mehr; Teilnehmende können informell online sehr viel lernen und viel mehr kritisch nachfragen. Und Lernende stellen selbst Lehrmaterial zur Verfügung; sie geben keine Arbeitsergebnisse bei der Lehrperson ab sondern teilen ihre Arbeiten in Lerngruppen.
  • Verändertes Berufsbild: Lehrende begleiten Lernprozesse. Sie konzipieren Lernwege, an die man sich nicht halten muss, aber kann. Sie organisieren Kommunikation im digitalen Raum statt Zeitstrukturen vorzugeben (obwohl eine zeitliche Strukturierung von vielen Teilnehmenden immer noch gewünscht wird; aber sie ist ein Kann und kein Muss). Sie bereiten Materialien vielfältig medial  auf und stellen es so zur Verfügung, dass es jederzeit erreichbar ist. Lehrende, also Begleitende, bewegen sich sicher im digitalen Raum (selbstverständlich ohne alles darüber zu wissen), sie wissen, wie digitale Kommunikation gelingt und sie können projektorientierte Lernszenarien konzipieren.
  • Der Outcome / das Lernergebnis steht – besonders in der beruflichen Bildung – im Vordergrund, nicht das Lehren. Und in Zeiten der digitalen Transformation bedeutet das: Menschen dabei begleiten Lösungen zu finden statt fertige Lösungen anzubieten.
  • Jedes Lernangebot ist kompetenzorientiert und fördert Kompetenzen, nicht abfragbares Wissen. Denn solches Wissen bekommen wir online meist ohne Hilfe. Unter Kompetenz verstehe ich hier (und das ist die allerkürzeste Definition, die ich kenne) Handlungsfähigkeit in unsicheren Situationen. Und unsichere Situationen wird es in sich schnell wandelnden digitalen Zeiten immer wieder geben.
  • Bildungsangebote werden von institutioneller Seite flexibel organisiert und geplant: Die Jahres- oder Halbjahresplanungszyklen sind zu starr, um den Veränderungen gerecht zu werden. 
  • Bildungsträger bewegen sich in digitalen Räumen, in denen sich die (potentiellen) Teilnehmenden aufhalten und kommen mit ihnen ins Gespräch. Auch Institutionen netzwerken hierarchiefrei, lernen von Teilnehmenden, kommunizieren offen und transparent und betreiben aktives Communitybuilding. So bereiten sie den Boden für Bildungsangebote, die sich an den Bedürfnissen und Gewohnheiten der Teilnehmenden ausrichten.
  • Selbstorganisiertes Lernen: Selbstorganisiertes Lernen bedeutet, dass ich meinen Lernprozess  selbständig und eigenverantwortlich organisiere, auch mit anderen zusammen (alleine lernen ist damit nicht gemeint). Aber es gibt keine Lehrperson oder Institution, die mir sagt, was ich wann zu tun habe.
  • Bildungsträger schaffen permanente Angebote, die die elementaren Kompetenzen für erfolgreiche digitale Bildung fördern: Selbstorganisation und Selbstlernkompetenz. Und sie investieren in solche permanenten Angebote (zum Beispiel in Hinblick auf Materialproduktion).

Learn Management Systeme und digitaler Raum

Natürlich können auch LMS genutzt werden, häufig ist die Nutzung abgeschlossener System sogar wünschenswert. Teilnehmende können sich dann in einem geschützten Raum austauschen. Allerdings sollten LMS die Gepflogenheiten im digitalen Raum abbilden und wiedergeben. Sie müssen, damit sie als Werkzeug digitaler Bildung verstanden werden können, der User Experience entsprechen (UX, Definition und Details siehe Wikipedia: https://de.wikipedia.org/wiki/User_Experience ). Damit ist gemeint:

  • Schnelles, unkompliziertes kommunizieren, also reagieren (z.B. durch Likes , Sterne oder  – wenn es denn sein muss – durch Herzen).
  • Unkomplizierte, gewohnte Bedienung wie beispielsweise: zur Verlinkung wird die URL kopiert, in ein Textfeld eingefügt und dann erscheint eine Linkvorschau, Hochladen von Fotos oder anderem Material mit einem Klick auf eine Schaltfläche.
  • Teilnehmende können mit wenigen Klicks Gruppen bilden (die von den  Lehrenden weder angelegt noch betreut werden).
  • Teilnehmende haben einen  „Newsstream“ mit Mitteilungen von Kontakten, Aktivitäten der Lerngruppen und Infos, die generell interessant sind. Der Newsstream ist das erste, was Teilnehmende auf der Plattform sehen (das sind sie nämlich von sozialen Netzwerken gewohnt).

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